Direkt zu:

Synagogen-Gedenkstätte

Zur Einweihung der „Synagogen-Gedenkstätte“,

Vorangegangen waren Jahre der zunächst schleichenden, existenzbedrohenden Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, die schließlich in der „Reichspogromnacht“ eskalierte. In Leer in gleicher Weise wie überall im Deutschen Reich. Die einst so prunkvolle Synagoge, Sinnbild einer blühenden Gemeinde an der Heisfelder Straße 44, sank in Schutt und Asche. Niedergebrannt vom Bürgermeister der Ledastadt, Erich Drescher und Männern der SA.

Manche in der Bevölkerung sahen es mit Entsetzen, manche klatschten Beifall, die meisten aber sahen weg. Am anderen Tag gingen sie ihrer alltäglichen Beschäftigung nach, als wenn nichts geschehen wäre. Mitten im Frieden Gewalt, Brandschatzung, Plünderung und Mord. Aber kein Aufschrei der Bevölkerung. Darum ist in jener Nacht in unzähligen Synagogen das Gebet für immer verstummt. Auch hier in Leer.

Angemessener Ort der Erinnerung

Wir dürfen nicht vergessen. Deshalb muss erinnert werden. Erinnert, aber auch ein zukunftsweisendes Zeichen gesetzt werden gegen Gewalt und Terror. Dieses leistet die neue Gedenkstätte, die vom heutigen Tag an unübersehbar zur Mahnung und zum Gedenken aufrufen soll. Sie wurde in unmittelbarer Nähe zum einstigen Synagogenstandort angelegt. Nicht irgendwo – an versteckter Stelle – sollte dieses Zeichen gesetzt werden, sondern genau dort, wo das jüdische Gemeindeleben einst stattfand, dem Platz der einstigen Synagoge. In Leer ist dieser Ort nicht mehr zugänglich. Eine Autowerkstatt wurde nach dem Krieg darauf errichtet. Seit Mitte der 60er Jahre gibt es dort eine kleine Gedenktafel, die an die Pogromnacht erinnert.

Lange Zeit hatte das Erinnern keinen Stellenwert. Eine Auseinandersetzung mit der unliebsamen Vergangenheit war lästig und vielen unangenehm. Sicher nicht ohne Grund. Irgendwann „vergaß“ man einfach, sich zu erinnern. Bis sich im Jahr 1985 - mit dem ersten Besuch der ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt Leer – erste freundschaftliche Kontakte zu den Überlebenden der jüdischen Gemeinde unserer Stadt ergaben und sich der Knoten des Vergessens löste. Der Knoten befand sich schon lange in unser aller Taschentuch. Er sollte uns an etwas erinnern. Wir sollten etwas sehr Wichtiges nicht vergessen. In dem Augenblick, in dem der Knoten gelöst wurde, war man bereit, sich der Geschichte zu stellen.

Den letzten Anstoß zur Verwirklichung dieser Gedenkstätte zu Ehren der ermordeten jüdischen Bürger unserer Stadt und in Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde gaben im Juli 1999 die Leeraner Kirchen.

Eine vom Ökumenischen Arbeitskreis Leer beauftragte Arbeitsgruppe hat sich zwei Jahre mit der Frage befasst, wie ein Gedenken in angemessener und würdiger Form aussehen könnte. Eine Stätte des Verweilens und Nachdenkens, ein Ort des In-sich-Gehens und des Mahnens.

Ein Zeichen gegen Gewalt und Terror

In jeder Stadt sollte es einen Ort der ehrenden Erinnerung an die ermordeten jüdischen Bürger geben. Einen Ort der Erinnerung an Taten, die nicht ungeschehen gemacht werden können. In Leer hat es lange gedauert, bis zu Ehren der ermordeten jüdischen Bürger der Stadt Leer und in Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde ein Symbol für ein selbstbewusstes und aufrichtiges Umgehen mit der Vergangenheit und gleichsam für ein menschliches Miteinander realisiert wurde. Eine sichtbare Mahnung an die zukünftigen Generationen, aus der Geschichte zu lernen. Ein Zeichen gegen Gewalt und Terror.

Auf der Gedenkstätte wurde eine weiträumige Pflasterung vorgenommen, in die ein Davidstern eingelassen ist. Dieser wird von drei etwa 2.70 m hohen flachen Stelen aus Stahl umgeben.

Die Stelen sind auf der Innenseite beschriftet:

Stele 1: Synagogen in Leer

um 1690
Erstmals wird ein Versammlungsraum genannt, in dem sich die jüdische Gemeinde zum Beten einfindet.

Eine erste Synagoge befindet sich in der Kirchstraße, in einem Haus, das früher die „Drei Kronen“ genannt wurde und später einem Ch.G. Teune gehörte, der es zu einem Packhaus umbaute.

1760
In der sogenannten „Drekstraate“ (heute Norderstraße) wird eine neue Synagoge gebaut. Wenn die Gemeinde auch Schutzgeld an die „hoge lands regeeringe“ bezahlen muss, kann sie sich doch einen Rabbiner leisten.

1793
An der Burgstraße (heute Pferdemarktstraße) baut die Gemeinde eine schlichte Synagoge und nutzt sie bis 1885.

1885
Nach langen Überlegungen und Verhandlungen kann die jüdische Gemeinde auf dem Grundstück Heisfelder Straße 44, das sie dafür erworben hat, eine neue Synagoge bauen. Diese wird am 28. Mai 1885 unter Mitwirkung von Landrabbiner Dr. Buchholz (Emden) und Bürgermeister Pustau feierlich in Gebrauch genommen.

1938
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wird die Leeraner Synagoge geschändet und in Brand gesteckt. Die Feuerwehr hat Weisung, nicht zu löschen. Bis auf die Kellergewölbe mit dem Tauchbad werden die Reste der Synagoge von einem Transport-Unternehmen im Auftrag der Stadt Leer bald darauf entfernt.

Stele 2: Jüdisches Gemeindeleben in Leer

Ein erster Nachweis für jüdisches Leben in Leer stammt aus dem Jahr 1611. Es darf davon ausgegangen werden, dass Gottesdienste, für die die Anwesenheit von zehn Männern erforderlich ist, gehalten werden können.

Auf der „Galgenhöchte“ zwischen Leer und Leerort, damals noch außerhalb der Stadt, erhält die Gemeinde einen Begräbnisplatz.

Unterricht in jüdischer Glaubenslehre und in der hebräischen Sprache wird von der Gemeinde gewährleistet. Um 1840/50 dient ein Gebäude an der Kirchstraße als jüdische Schule. Im Jahr 1909 errichtet die Gemeinde eine Schule mit Lehrerwohnung an der Deichstraße (heute Ubbo-Emmius-Straße. 14). Die letzten jüdischen Lehrer sind: Lasser Abt, Ignatz Popper, Hermann Spier und Seligmann Hirschberg.

Einen eigenen Rabbiner hat die Gemeinde in Leer nicht. Sie wird, wie die anderen Gemeinden in Ostfriesland, vom Landrabbiner mit sitz in Emden betreut. Der letzte von ihnen ist Dr. Blum, der mit seinen Kindern überlebt und am Aufbau des Staates Israel teilnimmt. Die Rolle des Vorbeters in Leer hat jeweils der Lehrer an der jüdischen Schule inne.

Bis etwa 1900 wächst die Gemeinde auf 300 Mitglieder an. Die Familien wohnen über die Stadt verstreut. Nominell gehören zur Gemeinde Leer alle im Landkreis wohnhaften Jüdinnen und Juden. 1939 werden sie gezwungen, in sogenannten „Judenhäusern“, wie zum Beispiel in der Kampstraße 37, zu leben.

Stele 3: Verfolgung und Zerstörung

1933
Aufruf zum Boykott der jüdischen Geschäfte, Verleumdung jüdischer Bürger, Verbot des rituellen Schlachtens, Vertreibung jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst.

1935
Nürnberger „Rassegesetze“ machen Jüdinnen und Juden zu „Untermenschen“. 1936 Aberkennung des Wahlrechts, die Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern wird unterbunden.

1938
Verfügung, in den Pass ein „J“ stempeln zu lassen, Geschäfte im Schaufenster als jüdisch zu kennzeichnen, später Anordnung, den gelben Judenstern immer sichtbar an der Kleidung zu tragen.

1938
In Leer wird in der Nacht vom 9. auf den 10. November durch die SA und ihre Helfer die Synagoge in Brand gesteckt. Schaufenster und Wohnungen jüdischer Familien werden demoliert. Unter entehrenden Umständen werden Jüdinnen und Juden mit ihren Kindern durch die nächtlichen Straßen getrieben und in Koben im Viehhof auf der Nesse gefangen gehalten. Die Männer werden am folgenden Tag in das KZ Sachsenhausen verschleppt.

1940
Die letzten Jüdinnen und Juden werden im Frühjahr 1940 deportiert. Ihre Spur verliert sich in den Vernichtungslagern.

Außerdem sind die Namen aller ermordeten jüdischen Bürger der Stadt Leer aufgeführt.

Ferner wurde eine optische Verbindung zum eigentlichen Synagogenstandort hergestellt durch die Anbringung eine Stele gleichen Materials mit dem stilisierten Bild des Eingangportals der Synagoge an der Werkstattwand.

Auf diese Weise wird deutlich gemacht, dass die Gedenkstätte eigentlich ein Provisorium ist und der damalige Synagogenstandort auch weiterhin für das Gedenken seine zentrale Bedeutung behält.

 

Für ein menschliches Miteinander

Die Errichtung dieser Gedenkstätte zu Ehren der ermordeten jüdischen Bürger der Stadt Leer und in Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde ist ein Symbol für ein selbstbewusstes und aufrichtiges Umgehen mit der Vergangenheit und gleichsam für ein menschliches Miteinander. Darüber hinaus ist sie eine Mahnung an die zukünftigen Generationen, aus der Geschichte zu lernen.

An ihrer Realisierung haben viele Bürger, Betriebe, Institutionen und Vereine mitgeholfen.

Dafür sagen wir Dank

Fotos von der Einweihung der Gedenkstätte: