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Laudatio auf Theo Schuster

Vielen Dank an Cornelia Nath und Dr. Ulf-Thomas Lesle, die freundlicherweise ihre Rede zur Publikation zur Verfügung gestellt haben.

Verehrte Damen, geehrte Herren,
geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Freunde,
lieber Theo Schuster, liebe Ingrid!

Mit dem „Siefkes-Preis“, der alle vier Jahre vergeben wird, will die Stadt Leer die Erinnerung an ihre große Autorin wach halten. Wie könnte man an sie besser erinnern, als dadurch, mit diesem Preis Theo Schuster auszuzeichnen. Ist sein Wirken mit Leben und Werk Wilhelmine Siefkes’ doch vielfältig verknüpft. Schuster hat sich der neuen plattdeutschen Literatur als Verleger angenommen. Bei ihm erscheinen seit 1975 die Schriften des Bremer Instituts für niederdeutsche Sprache. Nicht zuletzt hat er mit stupendem Fleiß hoch- wie plattdeutsche Volkspoesie aus Ostfriesland gesammelt, sie mit profundem Wissen bearbeitet und kommentiert und als ein homme de lettre in vielen schönen Ausgaben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ich freue mich, Theo Schuster laudieren zu dürfen – dem Autor, der unser Wissen um die norddeutsche Sprach- und Kulturgeschichte mit zahlreichen literarisch-philologischen Studien bereichert hat, dem Verleger, der ein Freund seiner Autoren ist, dem skeptischen Zeitgenossen, der die plattdeutsche Szene seit einem halben Menschenleben kritisch begleitet.

Ich werde mich dabei mit Cornelia Nath abwechseln, die Einblicke in die Werke Theo Schusters vorbereitet hat.

In einem Portrait, das kürzlich in der taz erschienen ist, wird Theo Schuster als eine Art Sisyphus charakterisiert, der sich mit seiner Arbeit seit gut fünf Jahrzehnten gegen den Berg der Vergänglichkeit und die Macht des Vergessens stemmt. Treffender kann man ihn und sein Tun kaum kennzeichnen!

Als Nestor der ostfriesischen Erzählkunde und langjährigem Treuhänder einer Literatur, die sich so bewusst wie vorurteilsfrei des Mediums Mundart bedient, erhält Theo Schuster heute auf einstimmigen Beschluss der Jury den diesjährigen „Wilhelmine-Siefkes-Preis“.

Es war Schuster, der nach ihrem Tod im Jahre 1984 sich mit dafür eingesetzt hat, die Stadt möge ihrer Schriftstellerin doch mit einem nach ihr benannten Preis ein Denkmal setzen. 1990 ist der „Siefkes-Preis“ zum ersten Mal verliehen worden. Theo Schuster hat der Jury bis 2006 vorgestanden. In diesem Ehrenamt hat er vor allem dafür Sorge getragen, dass mit der Auszeichnung Maßstäbe gesetzt werden. Und wirklich: Bekanntheit und Wertschätzung dieses Kulturpreises reichen weit über Leda und Ems hinaus. Es handelt sich um einen Preis, der die plattdeutschen Mundarten der Nachbarn mit einschließt. Um einen Preis, der Werke der Literatur, die in einer anderen, vom Standard abweichenden Sprache daherkommen, Anerkennung zollt, sofern es sich bei ihnen um eindrucksvolle Zeugnisse der Phantasie handelt. Mit dem Preis der Stadt Leer können aber ebenso philologische und ethnologische Arbeiten ausgezeichnet werden, soweit diese sich wegweisend auf die Sprachlandschaft Ostfrieslands beziehen. Schließlich könnten wir ohne solche wissenschaftlichen Deutungen kaum verstehen, warum und wie sich in einer Sprache immer auch eine besondere Art des Denkens darstellt. Der „Siefkes-Preis“ hat im Bereich des norddeutschen Sprach- und Kulturlebens sein ganz eigenes Profil. Eine Profil, dass die Juroren immer wieder herausfordert und zugleich in die Pflicht nimmt.

Wilhelmine Siefkes wurde 1890 als Bauerntochter in Leer geboren. Bis zur „Machtübertragung“ an die Nazis 1933 war die Sozialdemokratin, die von Kindheit an wusste, zu welchen Verwerfungen Elend und Armut führen, Lehrerin. Übrigens eine der ersten in Ostfriesland. Siefkes, bescheiden und gradlinig, hat sich im „Dritten Reich“ nicht verbiegen lassen. Sie war gewiss keine politische Schriftstellerin. Ein Autor, der zwischen 1933 und 1945 Texte veröffentlichen konnte, taugt nur bedingt zur Widerstands-Ikone! Immerhin bekam Wilhelmine Siefkes für ihren plattdeutsch verfassten Roman „Keerlke. En Gang dör en Kinnerland“ 1940 den Fehrs-Preis der Gilde gleichen Namens. Ein Jahr später erscheint der Roman, eine ungeschönte Kindheitsgeschichte im Hamburger Quickborn-Verlag. Es war das christlich-humanistisch geprägte Menschenbild der Autorin, dass sie von Anfang an auf Distanz zum totalitären „Führerstaat“ gehen ließ. Deswegen wurde sie von den braunen Machthabern aus dem Schuldienst entlassen. Regungen wie Anstand und Mitgefühl blieben in jenen Jahren eine Ausnahme, gerade auch in den Kreisen der „Heimatbewegung“, die mit fremdenfeindlichen Affekten die Besonderheit des eigenen Kulturraums zu begründen versuchte. Siefkes bewegten weitaus existenziellere Fragen als jene nach den ewigen Werten niederdeutschen „Stammestums“, auch als Autorin: wi mutten deeper kieken, darhen, wor dat Leven sitt.

„Keerlke“ ist ihr Hauptwerk. Der Roman nimmt einen wichtigen Platz in der Geschichte der plattdeutschen Literatur im 20. Jahrhundert ein. „Keerlke“ ist auch eine Art Nachhall dieses Genres in der Literatursprache Plattdeutsch. Der Roman brachte seiner Autorin viel Anerkennung ein und machte sie über Ostfriesland hinaus bekannt. 1995 erscheint die 5. Auflage – im Verlag Schuster, Leer.

Theo Schuster hat nach und nach viele Werke von Wilhelmine Siefkes verlegt, heute sind das mehr als 20 Titel, Einzelausgaben oder auf Vinyl gepresste Sprachdokumente. Kennengelernt hatten sie sich Mitte der 1960-iger Jahre, als Schuster seine verlegerische Tätigkeit mit der Edition „Niederdeutsche Stimmen“ aufnahm. Gleich auf der ersten Schallplatte liest die Siefkes Passagen aus zwei plattdeutschen Erzählungen, „Tant Remda in Tirol“ und „De Levenstiet“. Auf später produzierten Platten, aufgenommen in einem Bremer Studio, bringt Siefkes Ausschnitte aus „Keerlke“ zu Gehör, sie rezitiert eigene Gedichte, liest „Plattdeutsche Märchen“, die sie nach Grimmschen Vorlagen formte.

Geachte Damen un Heren,
geachte Heer Kellner,
leve Frünnen,
leve Theo un leve Ingrid!

Vandaag is dat för uns heel gewohn, dat dat Höörboken gifft. To de Tied, as Theo Schuster mit dat Rutbrengen van Literatur-Schallplaten anfung, was dit absluut butengewohn un in de nederdüütske Verleggerwelt heel wat Neeis. Dat Neje upgriepen un mit en egen Kopp daarför instahn, dat kenntekent dat Wark van Theo Schuster. Beids geiht blot, wenn en Verlegger genoog Mood hett, dat he wat Neeis waagt, ok wenn he keen Sekerheid hett, dat dat good löppt – un bi en Verlegger bedüddt „good lopen“ ok, dat sük dat good verköfft un de Saak genoog upsmitt.

Theo Schuster hett faak wat Neeis waagt, un dat is neet alltied good mitlopen. He hett sük aver van sien Lüst up dat Moje un dat Besünner noit ofbrengen laten. Hum is to verdanken, dat wi de Stimm van Wilhelmine Siefkes vandaag noch hören könen. Van de eerst Schallplaat, de Theo Schuster mit hör upnomen hett, hören Ji nu de Volksgeschicht: „De Levenstied“, vertellt in de Woorden van Wilhelmine Siefkes. Dat Knistern van mien Platenspöler hebb ik daar neet rutkregen – man dat weer mit de Technik van vandaag mögelk, disse Upnahm, de ruugweg 40 Jahr old is, allerbest to konserveren.

(Tonträger) (ca. 5 Menüten)

Es war Wilhelmine Siefkes, damals schon eine betagte Dame, die den Verleger im besten Mannesalter in den Kreis platt publizierender Autoren einführte. Sie machte Schuster mit den alten, zutiefst konservativen Barden der plattdeutschen Schreibzunft bekannt, in Bevensen, diesem allherbstlichen Wallfahrtsort der Bewegten. Bald knüpfte Schuster dort enge Kontakte zu den damals jungen Autoren: zu Holsten, Kessemeier, Kruse, Schaefer, Schoon und Sieg – um nur ein paar Namen dieser Riege zu nennen. Ihre Texte, gründlich verschieden von denen der Alten, verlangten nach einem neuen verlegerischen Konzept. Leer wurde zum Verlagsort dieser Literatur, die Theo Schuster stets sorgsam edierte. Wilhelmine Siefkes wusste Schusters Interesse am Erzählgut Ostfrieslands zu vertiefen und stellte Kontakte zu Gewährsleuten her. In ihrem Haus lernte der Verleger auch Mundart-Autoren von jenseits der Grenze kennen.

Nicht von ungefähr sind bei Schuster fast vierzig Schallplatten erschienen, darunter in Hessisch, Bayrisch, Jiddisch und den verschiedenen Varietäten des Plattdeutschen. Alle diese zu Gehör gebrachten Texte deutscher Sprachlandschaften zeigen, dass Mundartliteratur mitnichten eine Literatur wie jede andere ist – dem entgegengesetzt lautenden, immer wieder herunter gebeteten Mantra zum Trotz! Bald wurde das Verlagsprogramm um Nachdrucke älterer Standardwerke zur norddeutschen Landeskunde und –geschichte erweitert; zwar mit einer Akzentsetzung auf Ostfriesland und Oldenburg, aber auch Helgolandica und Titel aus Schleswig-Holstein wurden bei Schuster neu aufgelegt. Dazu kamen die Werke klassischer Autoren aus verschiedenen Dialekträumen, wie Enno Hektor, Fritz Lottmann, Fooke Hoisen Müller.

In den letzten Jahrzehnten hat Theo Schuster aus seinem reichen volksliterarischen Materialfundus geschöpft und Märchen-, Schwank- und Sagwortsammlungen vorbildhaft ediert. Sie haben vor allem in der Fachwelt die Beachtung gefunden, die ihnen gebührt.

Wo lang mutt en Minske sammeln, bit he dat Material för en Book van 400 of van 700 Sieden tosamen hett? Jahrteihnten. Theo Schuster, de naseggt wurr, dat he sük van dat Volk ofsetten wull, dat he sük blot um dat „Kunst-Platt“ of dat „Künstler-Platt“ kümmern dee un over de Tung van dat Volk wegkieken würr – nett disse Theo Schuster hett Jahrteihnden lang Geschichten, Witzen un Seggwiesen van Plattproters sammelt. Keen Padd weer hum to wied, wenn he enerwaars noch wat Originales finnen kunn, dat noch neet druckt weer. So is dat wunnerbaar Book „Bösselkatrien heet mien Swien“ entstahn, waar de Bedüden van Deren in de oostfreeske Spraak un Kulturgeschicht in uparbeidt word. Alleen daarför harr man hum en Doktortitel geven kunnt.

Tegen de Boken van de oostfreeske Humoor un oostfreeske Namen, tegen Woordenboken, de he nipp un nau lektoreert hett as keen anner Verlegger, tegen mennig anner Book mit oostfreeske Landes- un Volkskunn is ok noch dat dicke Book over Märkens un Dööntjes ut Oostfreesland van hum utwarkt un bearbeidt worden, tosamen mit Jurjen van der Kooi, de sük an de Universität Groningen mit datsülvige Thema för dat Groningerland befaat hett.

Volksvertellens sünd würrelk en Leevde van Theo Schuster. Enig Texten daarvan hett he as enkelde Boken rutbrocht, t. B. „Dat Ollske un de Bigge“ un „Jan-Manntje in ’t papieren Huuske“ in de Woorden van Wilhelmine Siefkes of ok de „Eerdmanntjes“ un „Grote Jan un Lüttje Jan“, beid navertellt van Albrecht Janssen. Ok hierbi wees he weer Mood. He lett de Tekens för disse oll Volksvertellens van en modern Grafiker maken, van Holger Fischer. Hier finnen Ji keen ollerweltske Romantik. He brengt „Dat Ollske un de Bigge“ in en lüttje Formaat to Vörlesen för lüttje Kinner rut, ehrder as anner Verlagen enerwaars in Noorddüütskland. Ok sien Spöökgeschichten van de Noordseei hören to dat Volksgood, dat Theo Schuster utgraven un bewahrt hett.

All disse Texten hett he mit Leevde rutgeven. In de lesde Jahren hett he mehr Malen Uttekens kregen, umdat sien Boken so moi sünd. Man mag hör geern ankieken un geern anfaten. Verlag Schuster: dat is en anner Woord för Qualität, maakt in Oostfreesland.

Mit dat Verbinnen van Old un Neei hett, mit sien Mood, wat Neeis ok up dat plattdüütske Rebett to wagen, hett Theo Schuster de plattdüütske Spraak ut de Heimateck ruthaalt un hör as normale Kulturspraak behannelt un daarstellt, in all Parten van sien Wark. Dit hebben enige Minsken neet verstahn, man dat weer en groot Glück för de plattdüütske Spraak un Kultur, neet blot in Oostfreesland.

Leve Theo, ik bün neet seker, of Du besinnen kannst an dat, wat nu kummt, of of wi daar overhoopt over proot hebben. En Firma ut Bremen funn dat „Ollske un de Bigge“ so moi, dat se daar beweegte Biller van maakt hebben, daarmit sük Kinner daar an de Computer sülvst mit befaten könen. Disse Idee is noit wiederföhrt worden – Kinner lehren Spraken beter van Minsken as van Computers. Ji kriegen dat nu to sehn, as een Bispill daarför, wo en oll Text tosamen mit neje Biller weer in de Tied van vandaag passt un för Jung un Old Pläseer brengt.

Präsentation van „Dat Ollske un de Bigge“ (ca. 4 Menüten)

1979 hat Schuster in seinem Verlag die „Erinnerungen“ von Wilhelmine Siefkes herausgebracht, die für eine Veröffentlichung zunächst gar nicht vorgesehen waren. Diese Perspektive hat sich erst im Verlauf vieler Begegnungen zwischen dem Verleger und der Autorin ergeben. Aus den privaten Aufzeichnungen der Siefkes ist so ein Kaleidoskop des 20. Jahrhunderts geworden – ein Dokument der Zeitgeschichte, das authentische Einblicke in ein facettenreiches Leben im Schatten der Diktatur gewährt. Diese Einblicke verdanken wir, die Leser, zwei Menschen, die sich bei aller Verschiedenheit wechselseitig respektiert, ja mehr noch, die sich geschätzt haben: Wilhelmine Siefkes und Theo Schuster.

Meine Damen und Herren! Ich habe versucht, das Verhältnis des Preisträgers zu der Person, in deren Namen er heute gewürdigt wird, in gebotener Kürze zu beschreiben. Rückblickend betrachtet, bildet die Bekanntschaft mit Wilhelmine Siefkes einen wichtigen Baustein im Werk des Autors und Verlegers. Für seine lang währende, Fachgrenzen sprengende Arbeit auf unterschiedlichen Feldern der heimischen Kulturgeschichte empfängt Theo Schuster heute den Preis seiner Heimatstadt. Und somit schließt sich denn auch ein Kreis.

Herzlichen Glückwunsch, lieber Theo!
Van Harten Glückwunsk, leve Theo!